Tamiko Thiel:



The Totem Project

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o Notes

o "Fire and Dance"
- C.Wawra


o "Feuer und Tanz"
- C.Wawra

Glut und Tanz:
Sinnlichkeit in den Videos von Tamiko Thiel


Koerper, ganz nah. So nah, dass man sie erst auf den zweiten Blick erkennt


The Golden Seed. Ein eifoermiges dunkles Etwas ragt ins Bild, mit Haaren, die den Flimmerhaerchen einer Zelle aehnlich sehen. Die Kamera verharrt und feiert eine Weile diesen Anblick, zu den Klaengen einer freudvollen Liturgie. Sachte loest sich eine Bewegung aus dem Hintergrund; eine zylindrische Form wandert radial durch das Bild und veraendert dabei die Licht- und Schattenverhaeltnisse. .

Das Dunkle ist vorne, Betrachter und Betrachterin am naechsten. Dorthin, wo man sich fuer gewoehnlich auskennt, in naechste Naehe, legt Tamiko Thiel den Schatten. Im zweiten Teil des Videos nimmt dieses Dunkel viel Raum ein, wenn sich der Vordergrund ueber den Bildschirm bewegt, solange bis etwas Neues zum Vorschein kommt.

Dann enthuellen sich die anatomischen Zusammenhaenge der bisherigen Bilder. Ein weiblicher Koerper liegt ausgestreckt da. Aus dem Ei ist eine Landschaft erwachsen, die Huegel der Beckenknochen, daneben Schamhaare-Grasbueschel. Haenge woelben und senken sich, gleich vorzeitlichen tektonischen Bewegungen, als die Erdoberflaeche ihre heutige Gestalt angenommen hat.

Entwicklung geschieht in Zyklen, und so folgt auf das Oeffnen ein Schliessen. Am Ende ist wieder das Ei - bereit fuer einen neuen Anfang.

Totem of Heavenly Wisdom. Fuenf Bildschirme formen eine Saeule. Aus goldgelber Daemmerung treten, begleitet von Klaengen, die an indische Sitar-Musik erinnern, zunaechst auf dem unteren Bildschirm Konturen hervor. Eine geschlossene, dunkle Form schwebt im Raum; aus ihr entfalten sich Haende wie Bluetenkelche. Gesten beginnen zu schwingen und zu tanzen. Nacheinander folgen die oberen Bildschirme; ihre Bilder scheinen aus dem unteren herauszuwachsen wie eine Pflanze. Die Bewegung geschieht im Rhythmus eines Pulsierens; sie wirkt taenzerisch. Fangarme lassen sich assoziieren, die Schwingen eines grossen Vogels. Mal formen die Koerperbilder eine Krone oder beschirmen von oben, dann entspringen sie von den Wurzeln her. Oder sie formen eine archaische Landschaft, wie die Canyons und Arches des amerikanischen Suedwestens. Stets zeichnen sie sich dunkel vor dem goldgelben Hintergrund ab. An Muskelkontraktionen laesst sich denken. Es ist als trage der Fluss eines Atems die Bilder von innen her. .

Mit der Musik bilden sie eine Einheit, werden raumgreifend, wenn deren Rhythmus sich beschleunigt - bis zuletzt ein Zyklus geschlossen wird und die Formen erneut in sich selber ruhen. Die fuenf Monitore zeigen die Bilder nicht synchron, sondern zeitlich versetzt. Die Bewegung greift so vom Einzelbild ueber auf die gesamte Saeule. Ein tanzendes Totem. Ein Totem fuer den Tanz der Koerper.


Die Aufnahmen vom weiblichen Koerper wurden digital bearbeitet, symmetrisch gespiegelt und gedreht. Die Verfremdung gibt den Bildern eine rituelle Kraft, die ueber jede dekorative Stilisierung erhaben ist.


Tamiko Thiel beruehrt mit der Kamera. Ihre Beruehrungen verwandeln in Gold. Das bewirkt keine kalte Erstarrung; denn ihr Blick ist nicht analytisch. Sondern es ist das gluehende Gold einer warmen Sinnlichkeit. Sie versetzt ihre Betrachter in einen Zustand von Faszination der menschlichen Koerper fuereinander, die fuehlbar wird, von innen her erlebt. Die Filme sind erotisch. Ihre Erotik ist jedoch keine, die sich an Geschlechtsmerkmalen orientiert und damit begnuegt. Sondern sie erwaechst aus der Unmittelbarkeit einer Naehe, einem Zauber der Sinne und einem Gefuehl fuer Schoenheit jenseits von Schoenheitsidealen. Witz und Humor sind davon Bestandteil: so spielt sie - vor allem in The Golden Seed - mit dem Wiedererkennen der gezeigten Koerperpartien.


Vielleicht macht diese Art der Erotik den weiblichen Blick aus. Doch geht es mehr um Erfahrung als um Geschlechterzuweisung. Tamiko Thiel mystifiziert nicht, auch nicht ihr eigenes Geschlecht. Im Unterschied dazu verzaubert sie.


Bewegte Bilder sind ein geeignetes Zaubermedium. Sie wirken in der Zeit und vermoegen ihre Betrachter eine Weile lang im Erleben bei der Hand zu nehmen. Sie spielen mit den Bildern der bekannten Wirklichkeit und sind in der Lage, eine parallele Wirklichkeit einzublenden, aufzuzeigen. Im kultischen Zusammenhang uebernehmen Rituale die Aufgabe, die "handfeste" und die spirituelle Welt zu verbinden, indem eine Handlung ueber sich selbst hinausweist und symbolisch wird. Musik wird zu einem konstitutiven Bestandteil; der Rhythmus durchstroemt die Bilder wie die Musik selbst. Die Musik zu Totem of Heavenly Wisdom wurde im Zusammenspiel mit dem Film entwickelt, ist also mehr als Begleitung.

So wird das Video selbst zum Ritual, das im Kunstwerk nicht nur nachvollziehbar, sondern ueberhaupt vollzogen wird. Tamiko Thiel ist dabei die Magierin, die Zeichen setzt und unser Erleben beeinflusst.


Vielleicht ermoeglichen Technologien wie Video oder Virtual Reality womit die Kuenstlerin sich auch eingehend beschaeftigt, solche Verwandlungen erst. Oder sie ermoeglichen sie wieder, nachdem sie unsere Kultur unterwegs aufgegeben hat. Ein scheinbares Spiel mit optischen Reizen wird so ploetzlich zu etwas Anderem, wo das Dunkle seinen Ort hat, das Fremde und Namenlose.



© Christine Wawra, San Francisco, July 1997.
(Christine Wawra is a photographer and art critic living in Tuebingen, Germany. This is a translation of the German original text.)